Im Mai 2021 war es soweit: Ein weiteres Bike musste in den Stall. Leicht sollte es sein, eine effiziente Sitzposition sollte es bieten, tourentauglich und dennoch mit einer gewissen Lässigkeit in der Abfahrt musste es sein.
Ich bekam im Rahmen eines Projektes die Möglichkeit, mich für eines der folgenden drei Modelle zu entscheiden:
Trek Supercaliber
Top Fuel oder
Fuel EX
Das war definitiv nicht so ganz einfach, da jedes der Modelle seine Vorteile hatte. Das Supercaliber ist die Speerspitze des XC Segments der Marke, klettert dementsprechend sportlich und vortriebsstark und ist auch das leichteste der drei. Bergab bietet es dank der speziellen Hinterbaukonstruktion mit 60mm Federweg immer noch ein gewisses Maß an Komfort und Sicherheit.
Das Top Fuel wurde als ehemaliges Top End XC Fully vom Supercaliber abgelöst, bekam eine längere, flachere Geo und 20mm mehr Federweg vorne und hinten spendiert. „Down Country“ nennt sich diese noch recht junge Kategorie. Es sollte knackige Uphills ermöglichen und bergab trotzdem potenter sein, als es die nervösen, gedrungenen und kurzhubigen XC Bikes waren. Kombiniert mit einer etwas weniger gestreckten Sitzposition, vielleicht die optimale Lösung für viele Biker.
Das Fuel EX ist seit ewig der Kassenschlager der MTB Abteilung des Unternehmens. Nicht grundlos, denn es wurde viele Male überarbeitet und weiterentwickelt. Immer in der Absicht, das perfekte „one for all“-Fully anzubieten:vom Feierabendride über die Transalp bis zum gelegentlichen Bikeparkshredden.
Mehr als eine Woche brauchte ich, um zu einer Entscheidung zu kommen. Schlussendlich jedoch fiel diese aufs Top Fuels. Das Supercaliber war zwar bergauf nochmal agiler, jedoch war die Ausrichtung auf maximal 2stündige, harte XC Rennen mit vielen Zwischensprints für meine Anforderungen zu dominant, die Downhilleigenschaften für mich als Liebhaber des Bergabfahrens etwas zu mager.
Beim Fuel EX hätte ich mich sofort wohlgefühlt. Es war gut zu pedalieren und eine Macht in der Abfahrt. Vielleicht etwas zu abfahrtslastig. Denn der Unterschied zum Slash wäre für meine Zwecke zu gering ausgefallen. Dieses ist zwar schon nochmal deutlich aggressiver fahrbar als das Fuel EX, aber dennoch waren mir die Bikes zu ähnlich, auch in Hinblick auf das Gewicht. Denn im Vergleich zum Top Fuel schleppt man bei der EX Version je nach Ausstattung mal mindestens 1,5kg mehr den Anstieg hoch. Und auch wenn ich die FOX36 liebe, für ein Alpentourenbike reicht auch die 34er locker aus.
So bekam ich also das Top Fuel geliefert. Laut Hersteller wäre mit meinen 1,93cm die Größe XL perfekt gewesen, jedoch auch ein XXL-Rahmen kam in Frage. Da ich lange Reach Werte durch das Slash lieben gelernt hatte, entschied ich mich für die XXL-Variante und bekam damit (ohne zu wissen, dass es so kommen würde) die Fahreigenschaften des überarbeiteten 2022er Top Fuels. Dieses bietet nämlich lediglich einen minimal flacheren Lenkwinkel und das Staufach im Unterrohr. Da dieser Kofferraum, den auch das Slash und das Fuel EX ihr Eigen nennen, jedoch mehr Materialeinsatz erfordern um das Unterrohr entsprechend stabil zu gestalten, geht damit ein deutlicher Gewichtsanstieg einher. Insofern bin ich umso glücklicher, die aktuelle Geometrie noch mit einem wirklich leichten Rahmen genießen zu können. Einziger Nachteil meiner XXL Wahl: Ich kann aufgrund des etwas langen Sitzrohres nur eine 150mm Dropper fahren (ausgenommen OneUp, da gingen wegen der niedrigen Bauhöhe auch 170mm). Wobei das bisher noch nie ein Nachteil war. Denn Abfahrten, die 170mm erfordern würden, machen mit einem 10kg+ Rucksack ohnehin nur noch wenig Spaß.
Zum Aufbau:
Um den leichten Carbonrahmen optimal nutzen zu können, entschied ich mich für DT Swiss XRC1200 Systemlaufräder aus Carbon. Die sind steifer und gleichzeitig deutlich leichter als die originalen Alulaufräder. Der Unterschied im Beschleunigungsverhalten ist enorm spürbar. Außerdem versprechen die Ratchet Freiläufe der DT Naben eine gewisse Beständigkeit. Als Bereifung behielt ich vorerst die originalen Bontrager XR3 bei. Sehr zu meiner Verwunderung hatte ich weder je einen Platten (im Tubelessaufbau), noch konnte ich mich über mangelnden Grip beschweren. Natürlich ist es kein Nobby Nic, aber der XR3 rollt auch deutlich leichter. Ich werde allerdings den neuen Wicked Will an dem Bike testen. Bin gespannt, wie der sich im Vergleich anfühlt ;)
Als Antrieb entschied ich mich für die bewährte X01 Schaltung, gepaart (wie schon beim Slash) mit dem XX1 Ritzel und der dazugehörigen Kette, diesmal jedoch in Rainbow bzw. Oil Slick, weil die Farbe besser zum Bike passt.
Gebremst wird wie immer mit den gelben Wurfankern von Magura. In diesem Fall die MT8 Raceline Carbon mit den Race Belägen. Um die Carbonaura bei den Hebeln nicht zugunsten der HC3 Hebel zu verlieren und gleichzeitig aber mehr Bremspower als mit der HC1 Variante zu bekommen, entschied ich mich für die 2Fingerhebel aus Carbon. Ein bisschen weiter zur Lenkermitte platziert und schon hatte ich die für mich perfekt passende Ergonomie. Bei den Bremsscheiben wurden die Storm HC (vorne 203mm und hinten 180mm) verbaut. Die geben selbst auf langen Alpenabfahrten Fading keine Chance.
Das Cockpit ziert - wie auf allen meinen Bikes - ein Renthal Fatbar Carbon. Im Fall des Top Fuels kamen jedoch statt der sonst bei mir üblichen Odi Griffen die originalen ans Lenkerende. Das hat einfach den Grund, dass diese mit dem Twistlock System von Bontrager kompatibel sind, um die Gabel und den Dämpfer sprichwörtlich im Handumdrehen sperren zu können. Ich habe allerdings mittlerweile den Entschluss gefasst, das System gegen einen Droplock Hebel von Bontrager zu tauschen. Dieser verbindet die Fernbedienung für die Sattelstütze mit jener fürs Fahrwerkslockout in einer Hebeleinheit und verhindert das versehentliche entsperren des Lockouts wenn man an einer steilen Rampe beherzt am Lenker zieht.
Nun zum Fahrwerk: Hinten arbeitet ein Fox DPS Dämpfer, vorne bisher eine etwas schwachbrüstige Reba RL, in Kürze aber eine 34 Stepcast Fit4, beides wie bereits erwähnt mit Remotelockout. Zwar war auch die Rock Shox SID Ultimate eine Option. Aufgrund meiner Fahrweise bekommt jedoch das etwas größeren Ölvolumen in der Fox Fit 4 Kartusche den Vorzug, um auf langen Abfahrten keine Performanceeinbußen bei der Dämpfung fürchten zu müssen.
Die 150mm Dropper ziert ein Selle Italia SLR Carbonio. Hart ist der Sattel schon, aber unglaublich komfortabel und leicht.
Zu den Fahreindrücken:
Ich müsste lügen, würde ich den Grinser im Gesicht leugnen wollen, der sich beim ersten Antritt unweigerlich breit machte. Natürlich bin ich bereits mit XC Bikes gefahren, früher sogar sehr häufig. Aber als Liebhaber des gepflegten Bergabfahrens bin ich doch eine gewisse Trägheit im Beschleunigungsverhalten von Endurobikes gewohnt. Ganz anders das Top Fuel. Jeder Newtonmeter den meine Beine in die Kurbel einbringen, wird willig und unmittelbar in Vortrieb umgewandelt. Ganz gleich ob auf Asphaltrampen oder geröllübersäten Versorgungsstraßen aus dem ersten Weltkrieg in den Dolomiten. Dieses Bike will den Gipfel sehen und das nicht irgendwann, sondern JETZT! Umso gespannter war ich also, wie das Trek den Spagat zwischen schnell rauf und mit Spaß runter hinbekommt.
Und auch da hält das Bike, was die Werbung vollmundig verspricht. 120mm Federweg sind am Papier natürlich recht überschaubar. Doch wenn diese so gut abgestimmt sind wie in diesem Rad, machen sie unglaublich gute Laune. Solange der Trail nicht allzu schroff wird, kommt schon aufgrund des langen Reaches und des formidablen Fahrwerks beinahe Endurofeeling auf. Und wer fahrtechnisch halbwegs sattelfest ist, kann selbst bei ausgewaschenen und felsigen Singletrails in den Alpen das Gas stehen lassen. Das Bike lässt dem Fahrer stets wissen, was unter ihm passiert, ohne dabei aber überfordert zu wirken. Gut: Zu große Brocken kann das Fahrwerk naturgemäß nicht wegbügeln, dafür fehlt es ihm an Hub. Da ist dann entweder eine saubere Fahrtechnik oder eine etwas defensivere Fahrweise angesagt. Selbst der Drop von einer ca. 1,2m hohen Mauer hat das Top Fuel nicht aus der Ruhe bringen können, wobei es sich hierbei um eine einmalige Sache handelte. Für Fahrmanöver dieser Art ist das Bike nämlich sicher nicht entwickelt worden.
Für wen kann ich das Top Fuel also empfehlen?
Zum einen für Biker, deren Hauptaugenmerk auf höhenmeterlastigen Touren liegt und die wenig Interesse an Bikeparkbesuchen mit diesem Rad haben. Zwar wären diese ebenfalls möglich, doch dafür gibt es eindeutig geeignetere Bikes. Gerade aber wenn es sehr lange und steil bergauf geht, spielt das Top Fuel seine Vorteile gegenüber einem Trailbike - wie dem Fuel EX - aus. Das niedrigere Gewicht (11,25 kg sind es mit Pedalen, was für einen XXL Rahmen echt OK ist) und die etwas sportlichere Sitzposition sind die Hauptgründe dafür. Außerdem bietet das effiziente Fahrwerk auch bergab jede Menge Fahrspaß sowie genug Sicherheit, um auch nach einer 8-Stunden-Tour den einen oder anderen Fahrfehler zu verzeihen.
Zum anderen ist es das perfekte Zweitbike für Fahrer, die - so wie ich - zwar gerne Enduros und DH Bikes fahren, aber dennoch Spaß an vielen Höhenmetern ohne Liftunterstützung haben. Ihnen bietet das Top Fuel eine Plattform, die sich hinsichtlich Gewicht und Kletterperformance wirklich spürbar vom Endurosegment unterscheidet, ohne aber den Spaßfaktor Abfahrt zu kurz kommen zu lassen. Selbst das eine oder andere Marathonrennen ist mit dem Bike absolut machbar, ohne deplatziert zu wirken.
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